Wann Joggen nach Geburt?
Die Schwangerschaft verläuft easy, die Gewichtszunahme während der Schwangerschaft hält sich im Rahmen und dein Sportpensum hast du nur in den letzten Tagen vor der Geburt reduziert. Deine Geburt ist gut verlaufen, du hast keine oder kaum Geburtsverletzungen davongetragen und nach der Entbindung fühlst du dich nach nur 2 Wochen wieder fit.
Das alles hört sich optimal an und der Afterbabybody scheint zum Greifen nah. Ich könnte jetzt schreiben, dass du die optimalen Voraussetzungen mitbringst, um nur wenige Wochen nach der Geburt wieder loszujoggen. Das wäre allerdings grob fahrlässig. In meiner mehr als 17-jährigen Trainertätigkeit habe ich viele Mütter betreut, die nach der Geburt unbedingt schnell wieder schlank werden wollten.
Um zu verstehen, dass dieser Wunsch problematisch sein kann, macht es Sinn, sich einmal genauer anzuschauen, was während der Schwangerschaft so alles mit deinem Körper passiert. Denn auch wenn du dich fit und munter fühlst, gibt es einiges zu beachten. Dein Körper hat über 9 Monate Höchstleistungen vollbracht und sich Schritt für Schritt auf die Geburt vorbereitet.
Was passiert im Mutterleib während der Schwangerschaft?
Angefangen bei der Hormonumstellung bis zu den statischen Veränderungen: In dieser Zeit vollbringt dein Körper Höchstleistungen. Die Hormonumstellung ist u. a. wichtig für die Empfängnis und um die Schwangerschaft aufrechtzuerhalten. Dein Gewebe, d. h. die Muskeln, Bänder und Gelenke, werden „weich“ bzw. dehnfähiger. Deine Brust wird auf Milchbildung vorbereitet und diese in Gang gesetzt.
Um Platz für dein wachsendes Baby zu schaffen, verändert sich deine Beckenstellung. Das Becken wird weiter. Die Wirbelsäulenkrümmungen in der Brustwirbelsäule verstärken sich. Das hat u. a. zur Folge, dass sich deine Körperstatik verändert.
Die Menge an Blut, die durch deinen Körper fließt, steigt im Laufe der Schwangerschaft um bis zu 50 % an. Bedingt durch das Größerwerden deines Kindes werden deine inneren Organe zur Seite geschoben und dein Brustkorb muss sich weiten, was zur Folge hat, dass dein Zwerchfell (Hauptatemmuskel) an Beweglichkeit verliert und es zum sog. Zwerchfellhochstand kommt.
Für einige Frauen ist die Funktion der Bauchmuskeln gerade anfangs kaum eingeschränkt. Sobald der Bauch aber dicker wird, müssen die geraden Bauchmuskeln zur Seite rutschen für den immer großer werdenden Uterus. Mit der Zeit verlieren Deine Bauchmuskeln an Kraft und werden inaktiv. Für deine Rückenmuskeln, die auf der gegenüberliegenden Seite deines Rumpfes liegen, bedeutet das, dass sie über einen langen Zeitraum übermäßig viel arbeiten müssen und kräftig an der Wirbelsäule ziehen, um dich in einer aufrechten Position zu halten.
Dein Beckenboden – jetzt nähern wir uns langsam dem eigentlichen Problem – wird während der Schwangerschaft stärker belastet als sonst, da das zunehmende Gewicht deines Babies dauerhaft von oben auf dem Becken lastet. Durch die vermehrte Elastizität des Muskelgewebes und die oben beschriebene Statikveränderung ist die Beweglichkeit in den Hüftgelenken ebenfalls eingeschränkt.
Was passiert nach der Geburt?
Naja, wenn der Körper 9 Monate benötigt, um sich auf eine Geburt vorzubereiten, dann wird er mit Sicherheit auch seine Zeit benötigen, bis er sich nahezu in den vorgeburtlichen Zustand zurückbegibt.
Die eigentliche Schwangerschaft endet mit der Geburt der Plazenta (Mutterkuchen). Die Plazenta ist, während das Kind im Mutterleib residiert, für die Hormonproduktion und die Versorgung des Babys zuständig. Wichtig zu wissen ist, dass die Plazenta, wenn sie mit der letzten Wehe aus dem Uterus herausgeschoben wird, eine große Wunde hinterlässt. Diese Wunde muss abheilen. Das dauert zwischen 6 und 8 Wochen. In dieser Zeit fließt der sog. Wochenfluss (Lochien). Es kommt also zu einem erhöhten Blutverlust.
Gleichzeitig stellt sich der weibliche Körper um und die Hormonproduktion zur Milchbildung setzt ein. Das sind unglaublich komplexe Prozesse, die im Körper ablaufen und für die dieser Zeit und Ruhe benötigt.
Hilfreich ist das Stillen. Beim Anlegen und Saugen wird das sog. Oxytocin produziert. Ein Hormon, das u. a. für die Rückbildung der Plazenta zuständig ist.
Zu den physiologischen Prozessen kommen noch die psychischen Belastungen und der Schlafmangel hinzu. All das ist nicht zu unterschätzen.
Der Beckenboden wird nicht nur in der Schwangerschaft, sondern auch bei der natürlichen Geburt stark belastet. Denn beim Austreten des Köpfchens wird der äußerste Muskel des Beckenbodenkomplexes extrem gedehnt und es kann zu kleinen oder großen Läsionen kommen. Wenn man dies so liest, könnte man auf den Gedanken kommen, dass man mit einem geplanten Kaiserschnitt besser davonkommt. Das ist aber nicht zwangsläufig der Fall. Denn während der Schwangerschaft wird der Beckenboden durch das Babygewicht belastet und jeder Schnitt durch die Bauchdecke bedeutet, dass danach die Kommunikation zwischen Bauchmuskeln und Beckenboden neu erlernt werden muss.
Die veränderte Beckenstellung und die angespannten Rückenmuskeln sind natürlich auch nicht über Nacht wieder zurückgebildet. Gerade wenn man stillt, ist und bleibt dein Bindegewebe weich und du bist instabiler. Erst wenn die Stillmahlzeiten sich auf 2-3 pro Tag reduzieren, setzt die Östrogenproduktion wieder ein und das Gewebe wird wieder fester.
So, was jetzt? Joggen oder nicht joggen?
Meine Antwort lautet wie folgt: „Auch wenn du dich nach der Entbindung relativ schnell wieder gut fühlst – und es ist bei einigen Frauen definitiv der Fall, dass sie 3 Wochen nach der Geburt wieder Bäume ausreißen könnten, ein Hoch auf die Hormone –, wären Joggen, Bootcamp, Fitnessstudio, Pilates, Yoga etc. absolut kontraproduktiv.
Im Frühwochenbett, Tag 1-10 postpartum, ist außer bewusstem Atmen und dem vorsichtigen Ansteuern deines Beckenbodens alles andere tabu und bis zur 6.-8. Woche empfiehlt es sich, gemeinsam mit der Hebamme gezielte Übungen für die Wahrnehmung, Ansteuerung und Kräftigung des Beckenbodens zu machen. Wenn du einen Kaiserschnitt hattest, dann verschiebt sich diese Phase um 2-3 Wochen nach hinten. Übungen zur Wahrnehmung deines Beckenbodens darfst du aber trotzdem machen.
Der Weg zurück zu einem starken Zentrum verläuft langsam und stetig. 1x wöchentliches Rückbildungsstraining ist nicht ausreichend für ein starkes und gleichzeitig elastisches Körperzentrum. Es ist zwar besser als nichts, wenn du aber wieder joggen möchtest, dann empfiehlt es sich, täglich zu üben.
Ganz wichtig ist, dass du die Übungen und Atemtechniken in 3-5 kleine tägliche Einheiten über den Tag verteilst. Anfangs sind die Übungen von außen kaum wahrnehmbar bzw. kannst du sie ganz einfach im Bett ausführen, auch beim Spazierengehen mit dem Baby kannst du hervorragend auf deine tiefe Bauchatmung achten.
Wichtige Regionen sind die Brustwirbelsäule und die Beckenbeweglichkeit. Beides ist notwendig für eine freie, tiefe Atmung und das Anspannen sowie Loslassen des Beckenbodens.
Mit dem korrekten Beckenbodentraining baust du dir eine solide Basis auf und kannst nach dem Rückbildungskurs oder auch später sukzessive wieder an dein altes Sportverhalten anknüpfen.
Auch wenn sich Laufen, Radfahren (Indoor Cyclingkurse), Bootcamp o. Ä. zunächst ok anfühlen, sind die Spätfolgen für dich nicht absehbar. Nur weil du es kannst, heißt es nicht, dass es gut für dich ist. In 3, 5 oder 10 Jahren können die Folgen von zu schnellem und nicht adäquatem Training verheerend sein.
Eine Inkontinenz oder ein POP (Pelvic Organ Prolaps), ein Nach-außen-Treten der Beckenorgane (Uterus oder Blase treten aus der Scheide heraus oder die Scheide stülpt sich nach außen), Bandscheibenvorfall, Migräneattacken etc. können noch Jahre später auftreten.
Zwischen der 6. und 8. Woche kannst du mit deinem Rückbildungskurs beginnen. Beim Kaiserschnitt zwischen der 12. und 16. Woche. Hier erlernst du Beckenboden schonendes Alltagsverhalten, die Ansteuerung und Aktivierung der Beckenbodenmuskeln sowie Atemtechniken und bekommst Kontakt zu anderen Müttern.
Detalierter Trainingsplan
Ein detaillierter Trainingsplan und Beckenbodentest wird im Buch „Vom Wochenbett zum Workout – Fit nach der Geburt“ beschrieben.
Die dazu gehörenden Übungen zum fühlen, anspannen und entspannen des Beckenboden werden im Buch und in diesem Online Rückbildungstraining angeleitet. Probier’s doch mal aus.
Trainingsempfehlung
Erst wenn du den Rückbildungskurs abgeschlossen und die Basics des Beckenbodentrainings verinnerlicht hast, die Stillfrequenz auf 2-3 x pro Tag gesunken ist, kannst du dich langsam an dein Lauftraining wagen.
In der Regel sagt der Volksmund: „9 Monate hin, 9 Monate zurück.“ Diese Zeit braucht der Körper mindestens, um zu heilen.
Hier ein Video für eine Bauchmuskelübung für die Zeit nach der Rückbildungsgymnastik. Und Hebamme Lisi Sobotta im Interview zum Thema Joggen nach der Schwangerschaft